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Therapie -> Erklärungsmodelle
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Therapie -> Erklärungsmodelle
02.08.2004 von Mindbreaker
Therapie -> Erklärungsmodelle
Verschiedene Erklärungsansätze für Zwangserkrankungen
Wie genau eine Zwangserkrankung entsteht, ist bislang noch unklar. In Forschung und Therapie wird aber übereinstimmend davon ausgegangen, dass sowohl biologische (zum Beispiel erbliche) als auch lern- und lebensgeschichtliche Faktoren (zum Beispiel der Umgang mit Belastungen) bei der Entstehung von Zwängen eine Rolle spielen. Die folgenden Ansätzen erklären die Entstehung einer Zwangserkrankung aus neurobiologischer beziehungsweise psychologischer Sicht:
Neurobiologische Erklärungsmodelle
Vererbung: Untersuchungen ergaben, dass die Verwandten ersten Grades von Zwangserkrankten überproportional häufig ebenfalls an Zwangs- beziehungsweise Angststörungen leiden. Zwillingsstudien liefern ähnliche Ergebnisse. Demnach scheint es so etwas wie eine erbliche Veranlagung für Zwangserkrankungen zu geben. Vererbt wird offenbar eine gewisse Anfälligkeit ("Vulnerabilität") dafür, auf Stresssituationen mit Zwangssymptomen zu reagieren. Die genauen genetischen Mechanismen sind zur Zeit jedoch noch unklar.
Neurologische Veränderungen: Verschiedene neurologische Erkrankungen - zum Beispiel Epilepsie, Kopfverletzungen ("Schädel-Hirn-Traumata") oder Gehirntumore - können unter Umständen Zwangssymptome auslösen. Ebenso Erkrankungen, denen eine Schädigung der "Basalganglien" (= Kerne im End- und Zwischenhirn, die Programme für gewünschte Bewegungen liefern und unerwünschte unterdrücken) zugrunde liegt- wie beispielsweise der Tourette-Störung (= Störung, bei der die Betroffenen unter so genannten Tics - wie unkontrolliertes schreien oder zucken - leiden)
Biochemische Veränderungen: Untersuchungen zufolge verändert sich bei Zwangserkrankten die Impulsübertragung im Gehirn. Bei den Betroffenen ist das System, welches für die exakte Ausführung einzelner Handlungen zuständig ist, übermäßig aktiviert. Darüber hinaus scheint der chemische Botenstoff "Serotonin" bei der Entwicklung von Zwangserkrankungen eine Rolle zu spielen. Dieser wird bei der Weitergabe eines elektrischen Impulses von einer Nervenzelle zur anderen benötigt. Medikamente, die den Serotoninspiegel im Gehirn beeinflussen, haben sich bei der Behandlung von Zwangserkrankungen als besonders wirksam entpuppt.
Psychologische Erklärungsmodelle
Verhaltenstheorie: Aus verhaltenstheoretischer Sicht sind Zwangssymptome ein gelerntes und durch seine Konsequenzen verstärktes Verhalten. Die wohl wichtigste - verstärkende - Folge der Zwangshandlungen für den Betroffenen ist die Verringerung seiner Spannungen und Ängste. Das zwanghafte Kontrollieren, Waschen, Ordnen, Zählen usw. gibt ihm für kurze Zeit ein Gefühl der Sicherheit und reduziert seine Angst vor drohenden Katastrophen wie schweren Krankheiten oder Unfällen. Die eigentlichen Gründe für die Handlungen verlieren jedoch im Laufe der Erkrankung immer mehr an Bedeutung. Der Betroffene fühlt sich durch seine Zwangshandlungen einfach besser und hält deshalb immer stärker an seinen Zwangshandlungen fest.
Jedem Menschen geistern gelegentlich unerwünschte Vorstellungen durch den Kopf, die den Zwangsgedanken ähneln ("Ich könnte mein Kind heute umbringen!"). Nicht-Betroffene ignorieren diese Gedanken jedoch weitgehend und schreiben ihnen keine Bedeutung zu. Dagegen empfinden Zwangserkrankte solche Ideen als hochgradig besorgniserregend und versuchen sie mit aller Macht wieder los zu werden. Paradoxerweise werden die Gedanken aber genau dadurch verstärkt. Untersuchungen zufolge scheint es sich dabei um einen normalen Mechanismus zu handeln, der auch bei Nicht-Zwangserkrankten funktioniert: Der Versuch, einen Gedanken zu unterdrücken, bewirkt genau das Gegenteil!
Darüber hinaus können auch die Erziehung sowie frühere oder aktuell belastende Lebensereignisse (wie der Tod nahe stehender Personen, Scheidung der Eltern, Konflikte mit dem Partner oder Arbeitslosigkeit) bei der Entstehung von Zwangserkrankungen eine Rolle spielen. Bei den späteren Zwangserkrankten handelt es sich oft um unsichere Menschen mit starken Selbstzweifeln und mangelnder Durchsetzungsfähigkeit, die sich in Stresssituationen schnell überfordert fühlen. Aus Angst vor Ablehnung und Kritik und um mögliche Fehler zu vermeiden, fangen sie dann plötzlich an, bestimmte Handlungen mehrfach zu wiederholen.
Kognitive Theorie: Eine eher kognitive Sicht der Verhaltenstheorie hat in entsprechenden Untersuchungen herausgefunden, dass Zwangserkrankte die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten negativer Ereignisse grundsätzlich überschätzen. Die Betroffenen vertreten die Einstellung, dass grundsätzlich alles schief gehen wird, was irgendwie schief gehen kann. Die Zwangssymptome dienen demnach dazu, den Zwangserkrankten vor den drohenden Katastrophen zu schützen. Weitere Untersuchungen ergab zudem folgendes: Je stärker eine Person unter einer Zwangserkrankung litt, umso schlechter erinnerte sie sich an ihre eigenen Handlungen ("habe ich den Herd WIRKLICH ausgemacht und die Haustür TATSÄCHLICH abgeschlossen?"). Zwanghaftes Verhalten kann somit möglicherweise bis zu einem gewissen Grad auf entsprechende Gedächtnisprobleme zurückgeführt werden.
Psychoanalytische Theorie: Nach Ansicht der psychoanalytischen Theorie versucht sich der Zwangserkrankte mit Hilfe seiner Zwänge gegen unerlaubte Impulse - wie sexuelle oder aggressive Triebkräfte - zu wehren. Durch eine strenge und/ oder extrem auf Sauberkeit fixierte Erziehung hat der Betroffene ein übermäßig ausgeprägtes Gewissen entwickelt. Die Symptome sind nun das Ergebnis eines ständigen Kampfes zwischen den Triebregungen und den Abwehrmechanismen, da die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen den Betroffenen in gewisser Weise von diesen überzogenen Gewissensansprüchen entlasten. Mit Hilfe seiner ritualisierten Verhaltensweisen versucht der Zwangserkrankte die verbotenen Impulse auszulöschen und damit ungeschehen zu machen. Darüber hinaus können die Rituale auch als Buße für konkretes Fehlverhalten dienen. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, hat zudem auf die Ähnlichkeiten zwischen religiösen und zwanghaften Ritualen hingewiesen und dadurch verstärkt auf die positiven Funktionen der Zwangssymptome aufmerksam gemacht.
Laut Alfred Adler - einem früheren Schüler und späteren Gegner Freuds - liegt die eigentliche Ursache von Zwangserkrankungen in entsprechenden Minderwertigkeitsgefühlen des Betroffenen. Die Zwangssymptomatik verleiht ihm das Gefühl, wenigstens irgendetwas zu beherrschen.
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Quelle: DGZ
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